I. ZIELSETZUNG

2. Mit diesen Rechtsvorschriften wird beabsichtigt,

a) internationalen Normen zu entsprechen, durch die häusliche Gewalt mit Strafen belegt wird;

b) anzuerkennen, daß es sich bei häuslicher Gewalt um geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen handelt, die innerhalb der Familie und in zwischenmenschlichen Beziehungen vorkommt;

c) anzuerkennen, daß häusliche Gewalt ein schweres Verbrechen gegen den einzelnen und die Gesellschaft ist, das nicht entschuldigt oder toleriert wird;

d) gezielte Rechtsvorschriften aufzustellen, die Gewalt gegen Frauen in den zwischenmenschlichen Beziehungen und den Beziehungen innerhalb der Familie verbieten, die Opfer dieser Gewalt schützen und weitere Gewalt verhindern;

e) einen breiten Fächer von flexiblen und rasch greifenden Rechtsschutzmitteln zu schaffen (so auch Rechtsschutzmittel im Rahmen besonderer Rechtsvorschriften betreffend häusliche Gewalt sowie straf- und zivilrechtliche Rechtsschutzmittel), um häuslicher Gewalt und der Belästigung der Frau in zwischenmenschlichen Beziehungen und innerhalb der Familie entgegenzuwirken und Frauen zu schützen, wenn es zu solchen Gewalthandlungen gekommen ist;

f) Opfern häuslicher Gewalt in Fällen von körperlicher und sexueller bis hin zu seelischer Gewalt den größtmöglichen Schutz zu gewähren;

g) Abteilungen, Programme, Dienstleistungen, Verfahrensvorschriften und Aufgabenstellungen zu schaffen, so unter anderem auch Beherbergungsmöglichkeiten, Beratungsprogramme und Berufsausbildungsprogramme, um Opfern häuslicher Gewalt zu helfen;

h) die Durchsetzung des Strafrechts zu erleichtern, indem vor Gewalt gegen Frauen in besonderen zwischenmenschlichen Beziehungen abgeschreckt und solche Gewalt mit Strafe belegt wird;

i) umfassende Unterstützungsdienste zu benennen und gesetzlich einzurichten, so unter anderem auch die folgenden:

i) Notdienste für Opfer von Mißhandlungen und deren Familien;

ii) Unterstützungsprogramme, die den besonderen Bedürfnissen der Opfer von Mißhandlungen und deren Familien gerecht werden;

iii) Aufklärungs-, Beratungs- und Therapieprogramme für Täter und Opfer;

iv) Programme, die zur Verhütung und Beseitigung häuslicher Gewalt beitragen, unter anderem auch Programme zur Bewußtseinsbildung und Aufklärung der Öffentlichkeit über dieses Thema;

j) Polizeibeamte besser in die Lage zu versetzen, Opfern zu helfen, in Fällen von häuslicher Gewalt für eine wirksame Rechtsdurchsetzung zu sorgen und weitere Fälle von Mißhandlung zu verhindern;

k) Richter dazu auszubilden, Probleme im Zusammenhang mit der elterlichen Sorge, dem Unterhalt und der Sicherheit der Opfer häuslicher Gewalt zu berücksichtigen, indem Leitlinien für den Erlaß von Schutzverordnungen und für die Strafzumessung aufgestellt werden, die häusliche Gewalt nicht bagatellisieren;

l) Berater bereitzustellen und auszubilden, die Polizeibeamte, Richter und Opfer häuslicher Gewalt unterstützen und für die Rehabilitierung der Täter Sorge tragen;

m) die Gemeinschaft stärker für das Vorkommen und die Ursachen häuslicher Gewalt zu sensibilisieren und sie dazu anzuhalten, an der Beseitigung häuslicher Gewalt mitzuwirken.

 
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II. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

3. Den Staaten wird dringend nahegelegt, Akte häuslicher Gewalt und die Beziehungen, in deren Rahmen häusliche Gewalt auftritt, begrifflich möglichst weit zu bestimmen, mit Rücksicht darauf, daß diese Verstöße nicht so kulturspezifisch sind, wie zunächst angenommen, da kulturelle Eigenheiten durch wachsende Migrationsströme formell oder informell allmählich verwischt werden. Außerdem sollten möglichst weit gefaßte Begriffsbestimmungen angenommen werden, damit Übereinstimmung mit internationalen Normen gegeben ist.

4. Den Staaten wird dringend nahegelegt, umfassende Rechtsvorschriften betreffend häusliche Gewalt zu erlassen, in denen sowohl ein straf- als auch ein zivilrechtlicher Rechtsweg vorgesehen ist, statt marginale Änderungen an bestehenden straf- und zivilrechtlichen Rechtsvorschriften anzubringen.

A. Häusliche Gewalt

5. Aus den Rechtsvorschriften soll klar hervorgehen, daß Gewalt gegen Frauen in der Familie und in zwischenmenschlichen Beziehungen häusliche Gewalt darstellt.

6. Das Gesetz muß in klarer und unmißverständlicher Sprache den Schutz der Frau vor geschlechtsspezifischer Gewalt innerhalb der Familie und in intimen Beziehungen gewährleisten. Häusliche Gewalt ist von Gewalt in der Familie zu unterscheiden und durch den Gesetzgeber entsprechend zu behandeln.

B. Zu regelnde Beziehungen

7. Der Geltungsbereich der Rechtsvorschriften betreffend häusliche Gewalt muß sich auf die Beziehungen zu Ehefrauen, Lebensgefährtinnen, ehemaligen Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen, Freundinnen (einschließlich Freundinnen, die nicht im selben Haushalt leben), weiblichen Verwandten (unter anderem Schwestern, Töchtern, Müttern) und weiblichen Haushaltsangestellten erstrecken.

8. Die Staaten sollen nicht zulassen, daß die Gewährung dieses Schutzes an alle Frauen durch religiöse oder kulturelle Praktiken behindert wird.

9. Die Staaten sollen Ausländerinnen denselben Schutz gewähren und Ausländer an dieselben Maßstäbe binden wie ihre eigenen Staatsangehörigen.

10. Eine Frau darf durch nichts daran gehindert werden, gegen ihren Ehemann oder Lebensgefährten gerichtlich vorzugehen. Beweisregeln sowie Straf- und Zivilprozeßordnungen sind zu ändern, um etwaige Beschränkungen auszuräumen.

C. Akte häuslicher Gewalt

11. Als "häusliche Gewalt" ist jede geschlechtsspezifische körperliche, seelische und sexuelle Mißhandlung, die von einem Familienmitglied gegen eine Frau in der Familie verübt wird, oder jeder Versuch einer solchen Mißhandlung zu bezeichnen, von einfacher Körperverletzung bis hin zu schwerer Körperverletzung, Entführung, Drohungen, Einschüchterung, Nötigung, Verfolgung, Beschimpfung, gewaltsamem oder rechtswidrigem Eindringen in die Wohnung, Brandstiftung, Zerstörung von Eigentum, sexueller Gewalt, Vergewaltigung in der Ehe, Gewalt im Zusammenhang mit der Mitgift oder dem Brautpreis, Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane, Gewalt im Zusammenhang mit Ausbeutung durch Prostitution und Gewalt gegen Haushaltsangestellte.

 
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III. VERFAHREN ZUR ANZEIGEERSTATTUNG

12. Das Gesetz soll vorsehen, daß Opfern, Zeugen häuslicher Gewalt, Familienmitgliedern und den Opfern nahestehenden Personen staatliche und private ärztliche Betreuungsdienste und Hilfszentren für Opfer häuslicher Gewalt zur Verfügung gestellt werden, über die sie bei der Polizei Anzeige erstatten oder bei Gericht Klage erheben können.

A. Aufgaben der Polizeibeamten

13. Das Gesetz soll vorsehen, daß Polizeibeamte jeder Bitte um Beistand und Schutz in mutmaßlichen Fällen häuslicher Gewalt nachzugehen haben.

14. Polizeibeamte dürfen Notrufen betreffend mutmaßliche Mißhandlungen durch Familien- und Haushaltsmitglieder keinen geringeren Vorrang einräumen als solchen, mit denen ähnliche Mißhandlungen und Verstöße durch Fremde gemeldet werden.

15. Polizeibeamte haben sich an den Ort des Geschehens zu begeben, wenn die Meldung erstattende Person mitteilt,

a) daß eine Gewalthandlung droht oder im Gange ist;

b) daß eine infolge eines Aktes häuslicher Gewalt erlassene Verfügung in Kraft ist und daß mit deren Übertretung zu rechnen ist;

c) daß es bereits früher zu häuslicher Gewalt gekommen ist.

16. Die Polizei hat sofort einzugreifen, selbst wenn die Meldung erstattende Person nicht das Opfer, sondern ein Zeuge der Gewalt, mit dem Opfer befreundet oder verwandt oder in der Gesundheitsfürsorge beziehungsweise in einem Zentrum zur Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt tätig ist.

17. Bei Erhalt der Anzeige hat die Polizei

a) die Parteien und Zeugen, einschließlich der Kinder, in getrennten Räumen zu befragen, damit sie sich frei äußern können;

b) die Anzeige in ihren Einzelheiten zu Protokoll zu nehmen;

c) das Opfer, wie unten vorgesehen, über seine Rechte aufzuklären;

d) den gesetzlichen Vorschriften entsprechend ein Protokoll zu erstellen und zu den Akten zu nehmen;

e) soweit nötig das Opfer zur Behandlung in das nächste Krankenhaus oder die nächste medizinische Einrichtung zu bringen oder bringen zu lassen;

f) soweit nötig das Opfer und die Kinder oder abhängigen Angehörigen des Opfers an einen sicheren Ort oder in eine Unterkunft zu bringen oder bringen zu lassen;

g) für den Schutz der Meldung erstattenden Person Sorge zu tragen;

h) für die Entfernung des Täters aus dem Haushalt Sorge zu tragen beziehungsweise zu seiner Verhaftung zu schreiten, falls seine Entfernung nicht möglich sein sollte und sich das Opfer weiterhin in Gefahr befindet.

B. Alternativverfahren zur Anzeigeerstattung

18. Das Opfer, der Zeuge oder die Meldung erstattende Person können wegen eines behaupteten Aktes häuslicher Gewalt in dem Gerichtsbezirk Anzeige erstatten, in dem

a) der Täter seinen Wohnsitz hat;

b) das Opfer seinen Wohnsitz hat;

c) die Gewalthandlung stattgefunden hat;

d) das Opfer vorübergehend wohnt, wenn es seine Wohnung verlassen hat, um sich weiterer Mißhandlung zu entziehen.

19. Das Opfer kann wegen eines behaupteten Aktes häuslicher Gewalt bei einer staatlichen oder privaten Gesundheitseinrichtung Anzeige erstatten, welche dieselbe an die Polizeibehörde in dem Gerichtsbezirk weiterleitet, in dem sich die Gesundheitseinrichtung befindet.

20. Ein Verwandter, ein Freund oder eine andere Person, die von dem Opfer um Beistand gebeten wird, kann wegen eines behaupteten Aktes häuslicher Gewalt bei der Polizei Anzeige erstatten, die die entsprechenden Ermittlungen anzustellen hat.

C. Erklärung der Rechte des Opfers

21. Zweck der Erklärung der Rechte des Opfers ist es, das Opfer mit den ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmitteln vertraut zu machen, sobald es wegen einer Verletzung seiner gesetzlich verankerten Rechte Anzeige erstattet. In der Erklärung sind außerdem die Pflichten der Polizei und der Justiz gegenüber dem Opfer wiedergegeben:

a) Der Polizeibeamte muß mit dem Opfer in einer diesem verständlichen Sprache verkehren und sich diesem gegenüber mit Namen und Kennummer ausweisen. Das Gesetz schreibt vor, daß der Polizeibeamte das Opfer häuslicher Gewalt davon in Kenntnis zu setzen hat, daß er den Tatverdächtigen entweder sofort festnehmen, ihn zum Verlassen des Haushalts veranlassen oder ihn aus dem Haushalt entfernen muß, falls geltend gemacht wird, daß ein Verbrechen gegen das Opfer verübt worden ist;

b) Der Polizeibeamte muß das Opfer zur Behandlung seiner Verletzungen in eine medizinische Einrichtung fahren oder ihm helfen, eine Transportmöglichkeit zu finden;

c) Wenn das Opfer seine Wohnung verlassen will, muß der Polizeibeamte ihm helfen, eine Transportmöglichkeit an einen sicheren Ort oder in eine Unterkunft zu finden;

d) Der Polizeibeamte muß alle vertretbaren Schritte unternehmen, um sicherzustellen, daß sich das Opfer und die von ihm abhängigen Angehörigen in Sicherheit befinden;

e) Der Polizeibeamte muß dem Opfer in einer diesem verständlichen Sprache eine schriftliche Aufstellung der ihm offenstehenden rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung stellen. Aus dieser Aufstellung muß folgendes hervorgehen:

i) Das Gesetz sieht vor, daß das Opfer auf einseitigen Antrag eine einstweilige Anordnung beziehungsweise gerichtliche Verfügung zum Verbot der weiteren Mißhandlung des Opfers, der von ihm abhängigen Personen, aller Mitglieder seines Haushalts und aller Personen, von denen es Beistand und Schutz erbittet, erwirken kann;

ii) Die einstweilige Anordnung beziehungsweise gerichtliche Verfügung hat das Eigentum des Opfers oder das gemeinschaftliche Eigentum vor Zerstörung zu bewahren;

iii) In der einstweiligen Anordnung kann der Täter angewiesen werden, das Heim der Familie zu verlassen;

iv) Für den Fall, daß sich die Gewalthandlung in der Nacht, am Wochenende oder an einem Feiertag ereignet, muß das Opfer davon in Kenntnis gesetzt werden, daß es im Notfall durch Anruf bei dem diensttuenden Richter eine einstweilige Anordnung erwirken kann;

v) Das Opfer braucht keinen Rechtsanwalt heranzuziehen, um eine einstweilige Anordnung auf einseitigen Antrag oder eine gerichtliche Verfügung zu erwirken;

vi) Die Geschäftsstelle des Gerichts hat Personen, die eine einstweilige Anordnung oder eine gerichtliche Verfügung zu erwirken suchen, die entsprechenden Formulare und nichtjuristische Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Damit es eine gerichtliche Verfügung erwirken kann, muß das Opfer an den zuständigen Gerichtsbezirk/Gerichtsstand verwiesen werden;

vii) Die Polizei hat die einstweilige Anordnung dem Täter zuzustellen.

D. Protokoll über Fälle häuslicher Gewalt

22. Der Polizeibeamte, der einem Notruf betreffend einen Fall häuslicher Gewalt nachgeht, ist gehalten, ein Protokoll über den Fall häuslicher Gewalt zu erstellen, das in die Akten eingeht. Eine Ausfertigung des Protokolls soll dem Justizministerium und (gegebenenfalls) dem Familiengericht zugeleitet werden.

23. Das Protokoll über einen Fall häuslicher Gewalt ist auf einem vom Leiter der Polizeibehörde vorgeschriebenen Formular zu erstellen. Es hat, ohne darauf beschränkt zu sein, unter anderem folgende Angaben zu enthalten:

a) die Beziehung zwischen den Parteien;

b) das Geschlecht der Parteien;

c) Angaben betreffend den Berufs- und Bildungsstand der Parteien;

d) die Zeit und das Datum des Eingangs der Anzeige;

e) den Zeitpunkt, zu dem der Polizeibeamte mit den Ermittlungen begonnen hat;

f) ob Kinder betroffen waren und ob sich der Fall häuslicher Gewalt in Gegenwart von Kindern ereignet hat;

g) die Art und das Ausmaß der Mißhandlung;

h) die Zahl und Art der benutzten Waffen;

i) die zur Behandlung des Falls aufgewandte Zeit und die von dem Polizeibeamten ergriffenen Maßnahmen;

j) den Tag des Inkrafttretens und den Inhalt der im Hinblick auf die Parteien erlassenen Verfügung;

k) alle sonstigen Angaben, die für eine vollständige Analyse aller Umstände erforderlich sind, die zu dem mutmaßlichen Fall häuslicher Gewalt geführt haben.

24. Der Leiter der Polizeibehörde ist gehalten, jährlich alle Daten aus den Protokollen über Fälle häuslicher Gewalt zusammenzustellen und dem Justiz-/Frauenministerium und dem Parlament darüber Bericht zu erstatten.

25. Der Jahresbericht hat, ohne darauf beschränkt zu sein, unter anderem folgende Angaben zu enthalten:

a) die Gesamtzahl der eingegangenen Meldungen;

b) die Zahl der von Opfern beiderlei Geschlechts erstatteten Meldungen;

c) die Zahl der Meldungen, zu denen Ermittlungen angestellt wurden;

d) die Zeit, die zwischen Entgegennahme einer Meldung und Eingreifen der Polizei durchschnittlich verging;

e) die Art der polizeilichen Maßnahmen, die zur Erledigung der Fälle ergriffen wurden, unter Einschluß der Zahl der Festnahmen.

 
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