Bericht der Vierten Weltfrauenkonferenz



Anlage II

AKTIONSPLATTFORM


INHALT

  1. AUFGABENSTELLUNG

  2. GLOBALER RAHMEN

  3. HAUPTPROBLEMBEREICHE

  4. STRATEGISCHE ZIELE UND MASSNAHMEN

    1. Frauen und Armut
    2. Bildung und Ausbildung von Frauen
    3. Frauen und Gesundheit
    4. Gewalt gegen Frauen
    5. Frauen und bewaffnete Konflikte
    6. Die Frau in der Wirtschaft
    7. Frauen in Macht- und Entscheidungspositionen
    8. Institutionelle Mechanismen zur Förderung der Frau
    9. Menschenrechte der Frauen
    10. Frauen und die Medien
    11. Frauen und Umwelt
    12. Mädchen

  5. INSTITUTIONELLE VORKEHRUNGEN

    1. Auf nationaler Ebene
    2. Auf subregionaler/regionaler Ebene
    3. Auf internationaler Ebene

  6. FINANZIELLE REGELUNGEN

    1. Auf nationaler Ebene
    2. Auf regionaler Ebene
    3. Auf internationaler Ebene





Kapitel I

AUFGABENSTELLUNG

1. Die Aktionsplattform ist ein Programm zur Herbeiführung der Machtgleichstellung der Frau. Ihr Ziel ist es, die Umsetzung der Zukunftsstrategien von Nairobi zur Förderung der Frau 1 zu beschleunigen und alle Hindernisse zu beseitigen, die der aktiven Teilhabe der Frau an allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens entgegenstehen, indem ihre volle und gleichberechtigte Mitwirkung an den wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entscheidungsprozessen sichergestellt wird. Dies bedeutet, daß zu Hause, am Arbeitsplatz und im größeren Umfeld der staatlichen und der internationalen Gemeinschaft für Frauen wie Männer der Grundsatz geteilter Macht und geteilter Verantwortung gelten sollte. Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist eine Frage der Menschenrechte und eine Vorbedingung für soziale Gerechtigkeit sowie zugleich eine notwendige Grundvoraussetzung für Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden. Eine neue Partnerschaft auf der Grundlage der Ebenbürtigkeit von Frau und Mann ist Voraussetzung für eine bestandfähige Entwicklung, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. Ein nachhaltiges und langfristiges Engagement für diese Ziele ist unverzichtbar, damit Frauen und Männer für sich, für ihre Kinder und für die Gesellschaft gemeinsam darangehen können, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen.

2. Die Aktionsplattform bekräftigt den Grundsatz, der in der Erklärung und dem Aktionsprogramm von Wien 2 niedergelegt ist, die auf der Weltkonferenz über Menschenrechte verabschiedet wurden, wonach die Menschenrechte von Frauen und Mädchen ein unveräußerlicher, fester und unteilbarer Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte sind. Als Maßnahmenprogramm hat die Plattform die Förderung und den Schutz der uneingeschränkten Wahrnehmung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Frauen während ihres ganzen Lebens zum Ziel.

3. Die Aktionsplattform betont, daß Frauen gemeinsame Anliegen haben, die nur dann einer Lösung zugeführt werden

können, wenn die Frauen miteinander und in Partnerschaft mit den Männern auf das gemeinsame Ziel der Gleichberechtigung der Geschlechter in der ganzen Welt hinarbeiten. Sie achtet und schätzt die ganze Vielfalt der Lebensbedingungen und Lebensumstände der Frau und erkennt an, daß sich einige Frauen auf dem Weg zur Machtgleichstellung besonderen Hindernissen gegenübersehen.

4. Die Aktionsplattform verlangt von allen sofortige konzertierte Maßnahmen zur Schaffung einer friedlichen, gerechten und menschlichen Welt auf der Grundlage der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich des Grundsatzes der Gleichberechtigung aller Menschen jeden Alters und Standes, und erkennt in dieser Hinsicht an, daß ein breites und nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Kontext einer bestandfähigen Entwicklung notwendig ist, um dem sozialen Fortschritt und der sozialen Gerechtigkeit Bestand zu verleihen.

5. Der Erfolg der Aktionsplattform setzt ein nachdrückliches Engagement der Regierungen, internationalen Organisationen und Institutionen auf allen Ebenen voraus. Außerdem wird folgendes erforderlich sein: die Mobilisierung angemessener Mittel auf nationaler und internationaler Ebene sowie neuer und zusätzlicher Mittel zugunsten der Entwicklungsländer aus allen zur Verfügung stehenden Finanzierungsmechanismen, so auch aus multilateralen, bilateralen und privaten Quellen für die Förderung der Frau; Finanzmittel zur Stärkung der Kapazität der nationalen, subregionalen, regionalen und internationalen Institutionen; das entschlossene Eintreten für gleiche Rechte, gleiche Pflichten und gleiche Chancen sowie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an allen nationalen, regionalen und internationalen Organen und an grundsatzpolitischen Entscheidungsprozessen; und die Schaffung beziehungsweise Stärkung von Einrichtungen auf allen Ebenen, die den Frauen der Welt Rechenschaft abzulegen haben.





Kapitel II

GLOBALER RAHMEN

6. Die Vierte Weltfrauenkonferenz findet an der Schwelle eines neuen Jahrtausends statt.

7. Die Aktionsplattform bestätigt die Konvention über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau 3 und baut auf den Zukunftsstrategien von Nairobi zur Förderung der Frau sowie auf den vom Wirtschafts- und Sozialrat und von der Generalversammlung verabschiedeten einschlägigen Resolutionen auf. Mit der Aktionsplattform soll ein grundlegender Katalog der vorrangigen Maßnahmen aufgestellt werden, die im Laufe der nächsten fünf Jahre durchzuführen sind.

8. Die Aktionsplattform anerkennt die Wichtigkeit der auf dem Weltkindergipfel, der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung, der Weltkonferenz über Menschenrechte, der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung und dem Weltgipfel für soziale Entwicklung erzielten Übereinkünfte, in denen konkrete Ansätze und Verpflichtungen zur Förderung einer bestandfähigen Entwicklung und der internationalen Zusammenarbeit sowie zur Stärkung der diesbezüglichen Rolle der Vereinten Nationen enthalten sind. Desgleichen befaßten sich die Weltkonferenz über die bestandfähige Entwicklung der kleinen Inselstaaten unter den Entwicklungsländern, die Internationale Konferenz über Ernährung, die Internationale Konferenz über gesundheitliche Grundversorgung und die Weltkonferenz über Bildung für alle aus ihrer jeweiligen Perspektive heraus mit den verschiedenen Aspekten der Entwicklung und der Menschenrechte, wobei der Rolle von Frauen und Mädchen besonderes Augenmerk geschenkt wurde. Darüber hinaus wurden die Themenkomplexe der Machtgleichstellung und Gleichberechtigung der Frau auch während des Internationalen Jahres der autochthonen Bevölkerungsgruppen der Welt 4 , des Internationalen Jahres der Familie 5 , des Jahres der Toleranz 6 sowie in der Genfer Erklärung über Frauen in ländlichen Gebieten 7 und in der Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen 8 nachdrücklich angesprochen.

9. Das Ziel der Aktionsplattform - in voller Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und dem Völkerrecht - ist die Machtgleichstellung aller Frauen. Die uneingeschränkte Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Frauen ist dafür unabdingbar. Obgleich die Bedeutung nationaler und regionaler Besonderheiten und der verschiedenen historischen, kulturellen und religiösen Traditionen zu beachten ist, sind die Staaten gehalten, ungeachtet ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Systeme alle Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen 9 . Die Umsetzung dieser Plattform, namentlich durch den Erlaß einzelstaatlicher Rechtsvorschriften, die Ausarbeitung von Strategien, Politiken und Programmen und die Festlegung von Entwicklungsprioritäten, liegt in der souveränen Verantwortung eines jeden Staates, im Einklang mit allen Menschenrechten und Grundfreiheiten. Die Bedeutung der verschiedenen religiösen und ethischen Wertvorstellungen, Kulturtraditionen und philosophischen Überzeugungen der einzelnen Menschen und ihrer Gemeinwesen sowie deren volle Achtung sollten dazu beitragen, daß die Frauen ihre Menschenrechte im Hinblick auf die Herbeiführung von Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden uneingeschränkt wahrnehmen können.

10. Seit der 1985 in Nairobi abgehaltenen Weltkonferenz zur Überprüfung und Bewertung der Ergebnisse der Frauendekade der Vereinten Nationen für Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden und der Verabschiedung der Zukunftsstrategien von Nairobi zur Förderung der Frau haben in der Welt tiefgreifende politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Veränderungen mit sowohl positiven als auch negativen Auswirkungen auf die Frauen stattgefunden. Auf der Weltkonferenz über Menschenrechte wurde anerkannt, daß die Menschenrechte von Frauen und Mädchen ein unveräußerlicher, fester und unteilbarer Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte sind. Die volle und gleichberechtigte Teilhabe der Frau am politischen, bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene und die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sind vorrangige Ziele der internationalen Gemeinschaft. Auf der Weltkonferenz über Menschenrechte wurde das feierliche Bekenntnis aller Staaten zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zur Förderung der weltweiten Achtung, Einhaltung und Wahrung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen, anderen Rechtsakten auf dem Gebiet der Menschenrechte und dem Völkerrecht bekräftigt. Der universelle Charakter dieser Rechte und Freiheiten steht außer Frage.

11. Das Ende des Kalten Krieges hat auf internationaler Ebene zu Veränderungen und zu einem Abklingen des Wettstreits zwischen den Supermächten geführt. Die Gefahr eines globalen bewaffneten Konflikts hat abgenommen, die internationalen Beziehungen haben sich gebessert und die Aussichten auf Frieden zwischen den Nationen sind gestiegen. Obgleich die Gefahr eines globalen Konflikts geringer geworden ist, werden viele Teile der Welt nach wie vor von Angriffskriegen, bewaffneten Konflikten, Kolonialherrschaft oder anderen Formen der Fremdherrschaft und ausländischen Besetzung, Bürgerkriegen und Terrorismus heimgesucht. Insbesondere in Zeiten des bewaffneten Konflikts kommt es zu schweren Verletzungen der Menschenrechte von Frauen, so auch zu Mord, Folter, systematischer Vergewaltigung, erzwungener Schwangerschaft und erzwungenem Schwangerschaftsabbruch, insbesondere im Rahmen von Politiken der ethnischen Säuberung.

12. Die Wahrung von Frieden und Sicherheit auf globaler, regionaler und lokaler Ebene sowie die Verhütung von Politiken der Aggression und der ethnischen Säuberung und die Beilegung bewaffneter Konflikte sind ausschlaggebend für den Schutz der Menschenrechte von Frauen und Mädchen sowie für die Beseitigung aller gegen sie gerichteten Formen der Gewalt und deren Einsatz als Kriegswaffe.

13. Infolge der überhöhten Militärausgaben, namentlich der weltweiten Militärausgaben und des legalen und illegalen Waffenhandels, und der Investitionen in die Rüstungsproduktion und den Rüstungserwerb stehen weniger Mittel für die soziale Entwicklung zur Verfügung. Wegen der Schuldenbelastung und anderer wirtschaftlicher Schwierigkeiten haben zahlreiche Entwicklungsländer Strukturanpassungsmaßnahmen durchgeführt. Manche Strukturanpassungsprogramme sind darüber hinaus schlecht konzipiert und umgesetzt worden und beeinträchtigen daher die soziale Entwicklung. Im Laufe der letzten zehn Jahre hat die Zahl der in Armut lebenden Menschen in den meisten Entwicklungsländern, insbesondere in den schwer verschuldeten Ländern, unverhältnismäßig stark zugenommen.

14. In diesem Zusammenhang soll nachdrücklich auf die soziale Dimension der Entwicklung hingewiesen werden. Ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum mag zwar für die soziale Entwicklung notwendig sein, führt jedoch an sich nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung. In manchen Fällen können Bedingungen entstehen, die soziale Ungleichheit und Marginalisierung unter Umständen verschärfen. Daher muß unbedingt nach neuen Alternativen gesucht werden, durch die sichergestellt wird, daß wirtschaftliches Wachstum allen Mitgliedern der Gesellschaft zugute kommt, wobei von einem ganzheitlichen Ansatz in bezug auf alle Aspekte der Entwicklung auszugehen ist: Wachstum, Gleichberechtigung von Frauen und Männern, soziale Gerechtigkeit, Erhaltung und Schutz der Umwelt, Bestandfähigkeit, Solidarität, Teilhabe, Frieden und Achtung der Menschenrechte.

15. Eine weltweite Demokratisierungsbewegung hat zwar in vielen Ländern zur Öffnung des politischen Prozesses geführt, doch konnte die allgemeine Teilhabe der Frau als vollwertige und gleichberechtigte Partnerin des Mannes an den maßgeblichen Entscheidungen, insbesondere in der Politik, bislang nicht erreicht werden. In Südafrika ist die Politik des institutionalisierten Rassismus - die Apartheid - abgeschafft worden, und eine friedliche und demokratische Machtübergabe hat stattgefunden. In Mittel- und Osteuropa hat sich ein rascher Übergang zur parlamentarischen Demokratie vollzogen, der in den einzelnen Ländern je nach den besonderen Gegebenheiten mit einer Vielfalt unterschiedlicher Erfahrungen verbunden war. Während der Übergang zumeist friedlich verlief, wurde dieser Prozeß in einigen Ländern durch bewaffnete Konflikte behindert, die schwere Menschenrechtsverletzungen zur Folge hatten.

16. Eine weitverbreitete wirtschaftliche Rezession sowie politische Instabilität in einigen Regionen waren der Grund dafür, daß Entwicklungsziele in zahlreichen Ländern nicht voll erreicht wurden. Dies hat dazu geführt, daß sich unsägliche Armut weiter ausgebreitet hat. Über eine Milliarde Menschen leben in tiefster Armut; die überwiegende Mehrheit davon sind Frauen. Der rasche Ablauf des Wandels und der Anpassung in allen Sektoren hat auch vermehrte Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, insbesondere bei den Frauen, zur Folge gehabt. Vielfach wurden Strukturanpassungsprogramme weder so konzipiert, daß sie möglichst geringe negative Folgen für schwache und benachteiligte Gruppen oder für Frauen nach sich ziehen, noch so ausgelegt, daß positive Auswirkungen auf diese Gruppen gewährleistet sind, indem ihre Marginalisierung im wirtschaftlichen und sozialen Leben verhindert wird. In der Schlußakte der Uruguay-Runde der multilateralen Handelsverhandlungen 10 wurde die zunehmende Interdependenz der Volkswirtschaften sowie die Wichtigkeit der Liberalisierung des Handels und des Zugangs zu offenen, dynamischen Märkten hervorgehoben. In einigen Regionen wurden außerdem hohe Militärausgaben getätigt. Obwohl einige Länder ihre Leistungen erhöht haben, ist die öffentliche Entwicklungshilfe insgesamt gesehen in der letzten Zeit zurückgegangen.

17. Absolute Armut und der hohe Frauenanteil unter den Armen, Arbeitslosigkeit, die zunehmende Anfälligkeit der Umwelt, die auch weiterhin verübte Gewalt gegen Frauen und der Ausschluß der Hälfte der Menschheit von Macht- und Lenkungsinstitutionen in weiten Teilen der Welt machen deutlich, daß es notwendig ist, auch weiterhin nach Entwicklung, Frieden und Sicherheit zu streben und nach Möglichkeiten der Gewährleistung einer bestandfähigen Entwicklung zu suchen, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. Wenn diese Bemühungen Erfolg haben sollen, ist es unabdingbar, daß die Frauen, die die Hälfte der Menschheit ausmachen, daran teilhaben und dabei eine führende Rolle übernehmen. Das heißt, daß nur eine neue Ära der internationalen Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Völkern, die auf einem Geist der Partnerschaft, einem gerechten internationalen sozialen und wirtschaftlichen Umfeld und einem radikalen Wandel im Verhältnis zwischen Frauen und Männern hin zu einer vollen und gleichberechtigten Partnerschaft aufbaut, die Welt in die Lage versetzen wird, den Herausforderungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu begegnen.

18. Die weltwirtschaftlichen Entwicklungen der jüngsten Zeit haben sich vielfach unverhältnismäßig stark auf Frauen und Kinder ausgewirkt, von denen die meisten in den Entwicklungsländern leben. In denjenigen Staaten, die eine hohe Auslandsschuldenlast zu tragen haben, führten Strukturanpassungsprogramme und -maßnahmen, so nutzbringend sie langfristig auch sein mögen, zu rückläufigen Sozialausgaben und somit zu Nachteilen für die Frauen, insbesondere in Afrika und in den ärmsten Entwicklungsländern. Diese Situation wird noch verschärft, wenn die Verantwortung für grundlegende soziale Dienste von den Regierungen auf die Frauen übergeht.

19. Die wirtschaftliche Rezession in zahlreichen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern und die in den Umbruchländern vonstatten gehende Umstrukturierung hatten unverhältnismäßig negative Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit von Frauen. Oft bleibt Frauen keine andere Wahl, als eine Beschäftigung ohne langfristige Arbeitsplatzsicherheit oder mit gefährlichen Arbeitsbedingungen anzunehmen, in Heimarbeit ohne jede Absicherung zu arbeiten oder arbeitslos zu werden. Viele Frauen nehmen eine unterbezahlte und unterbewertete Beschäftigung an, um das Haushaltseinkommen aufzubessern; andere entschließen sich aus demselben Grund, zu Migrantinnen zu werden. Dies hat dazu geführt, daß die Arbeitsbelastung der Frau insgesamt zugenommen hat, ohne daß ihre sonstigen Aufgaben geringer geworden wären.

20. Bei der Konzeption makro- und mikroökonomischer Politiken und Programme, insbesondere auch zur Strukturanpassung, wurden die Auswirkungen auf Frauen und Mädchen, insbesondere auf arme Frauen und Mädchen, nicht immer berücksichtigt. Die Armut hat absolut wie auch relativ zugenommen, und die Zahl der armen Frauen ist in den meisten Regionen gestiegen. Zwar leben auch in den Städten viele Frauen in Armut; die Not der Frauen auf dem Land und in abgelegenen Gebieten verdient jedoch besonderes Augenmerk angesichts der Tatsache, daß die Entwicklung in diesen Gebieten stagniert. In den Entwicklungsländern, selbst in solchen, in denen nationale Indikatoren eine Besserung erkennen lassen, lebt die Mehrheit der Frauen auf dem Land auch weiterhin unter Bedingungen der wirtschaftlichen Unterentwicklung und der sozialen Marginalisierung.

21. Durch ihre bezahlte und unbezahlte Arbeit im Hause, in der Gemeinschaft und am Arbeitsplatz leistet die Frau einen maßgeblichen Beitrag zur Wirtschaft und zur Armutsbekämpfung. Immer mehr Frauen haben dank einer Erwerbstätigkeit wirtschaftliche Unabhängigkeit erreicht.

22. Weltweit wird ein Viertel aller Haushalte von Frauen geführt, und viele andere Haushalte sind, selbst wenn Männer vorhanden sind, auf das Einkommen der Frau angewiesen. Die von Frauen geführten Haushalte zählen sehr oft zu den ärmsten; die Gründe dafür sind unter anderem Diskriminierung bei der Entlohnung, infolge der Geschlechtszugehörigkeit eingeengte Berufschancen und andere geschlechtsbedingte Hindernisse. Der Zerfall der Familie, Bevölkerungsbewegungen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten innerhalb der einzelnen Länder, internationale Wanderungen, Krieg und Binnenvertreibung sind weitere Faktoren, die die Zahl der von Frauen geführten Haushalte erhöhen.

23. Aufgrund der Erkenntnis, daß die Herbeiführung und Wahrung von Frieden und Sicherheit eine Vorbedingung für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ist, übernehmen Frauen immer häufiger und in einer Vielfalt von Funktionen eine zentrale Rolle in der die gesamte Menschheit umfassenden Bewegung für den Frieden. Ihre uneingeschränkte Teilhabe an den Entscheidungsprozessen, an der Konfliktverhütung und Konfliktbeilegung und an allen sonstigen Friedensinitiativen ist unerläßlich, wenn ein dauerhafter Frieden herbeigeführt werden soll.

24. Religion, Spiritualität und Glauben nehmen im Leben von Millionen Frauen und Männern in bezug auf ihre Lebensgestaltung und im Hinblick auf ihre Zukunftserwartungen eine zentrale Stellung ein. Das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit ist unveräußerlich und muß von allen Menschen wahrgenommen werden können. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, einer selbst gewählten Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat anzugehören beziehungsweise diese anzunehmen und seine Religion oder Weltanschauung durch Gottesdienst, Kulthandlungen, Ausübung und Lehre zu bekennen. Wenn Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden herbeigeführt werden sollen, müssen diese Rechte und Freiheiten voll geachtet werden. Religion, Philosophie, Gewissen und Weltanschauung können zur Erfüllung der moralischen, ethischen und spirituellen Bedürfnisse von Frauen und Männern beitragen und ihre volle Entfaltung in der Gesellschaft fördern. Dabei ist jedoch einzuräumen, daß jede Form von Extremismus nachteilige Auswirkungen auf die Frauen haben und zu Gewalt und Diskriminierung führen kann.

25. Die Vierte Weltfrauenkonferenz sollte den Prozeß beschleunigen, der 1975 offiziell damit begann, daß die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Jahr zum Internationalen Jahr der Frau erklärte. Dieses Jahr war insofern ein Wendepunkt, als in ihm Frauenfragen erstmals auf die Tagesordnung gesetzt wurden. In der Frauendekade der Vereinten Nationen (1976-1985) wurde weltweit danach getrachtet, Stellung und Rechte der Frau zu untersuchen und Frauen auf allen Ebenen in die Entscheidungsprozesse einzubinden. 1979 verabschiedete die Generalversammlung die Konvention über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, die 1981 in Kraft trat und zum internationalen Maßstab für den Inhalt des Begriffs der Gleichberechtigung von Frau und Mann wurde. 1985 wurden auf der Weltkonferenz zur Überprüfung und Bewertung der Ergebnisse der Frauendekade der Vereinten Nationen für Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden die Zukunftsstrategien von Nairobi zur Förderung der Frau verabschiedet, die bis zum Jahr 2000 umgesetzt werden sollen. Seither hat es auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Frau und Mann bedeutsame Fortschritte gegeben. Zahlreiche Regierungen haben Rechtsvorschriften zur Förderung der Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann erlassen und einzelstaatliche Mechanismen eingerichtet, die für die konsequente Einbeziehung einer geschlechtsbezogenen Perspektive in alle Bereiche der Gesellschaft Sorge tragen sollen. Die internationalen Organisationen haben der Stellung und Rolle der Frau vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt.

26. Die zunehmende Stärke des nichtstaatlichen Sektors, insbesondere der Frauenorganisationen und feministischen Gruppen, ist zu einer Triebkraft des Wandels geworden. Die nichtstaatlichen Organisationen haben durch ihren Einsatz wesentlich dazu beigetragen, Rechtsvorschriften und Mechanismen zur Förderung der Frau voranzubringen. Außerdem sind sie zu Katalysatoren für neue Entwicklungskonzeptionen geworden. Viele Regierungen erkennen zunehmend an, welche Bedeutung der Rolle der nichtstaatlichen Organisationen zukommt und wie wichtig es ist, mit ihnen im Interesse des Fortschritts zusammenzuarbeiten. In einigen Ländern hingegen erlegen die Regierungen der freien Entfaltung der nichtstaatlichen Organisationen nach wie vor Schranken auf. Auf dem Wege über die nichtstaatlichen Organisationen haben die Frauen an kommunalen, nationalen, regionalen und globalen Foren und internationalen Debatten teilgenommen und diese maßgeblich geprägt.

27. Seit 1975 sind weiterreichende Erkenntnisse über die Situation der Frau beziehungsweise des Mannes gewonnen worden, die zu weiteren Maßnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern beitragen. In mehreren Ländern hat sich das Verhältnis zwischen Frauen und Männern stark verändert, insbesondere soweit bei der Bildung und Ausbildung der Frau große Fortschritte erzielt wurden und eine beträchtliche Steigerung des Frauenanteils auf dem Arbeitsmarkt zu verzeichnen war. Die Grenzen der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern nach produktiven und reproduktiven Aufgaben verwischen sich allmählich in dem Maße, wie Frauen in früher von Männern dominierte Arbeitsbereiche vordringen und Männer größere Verantwortung für häusliche Aufgaben, so auch für die Kinderbetreuung, übernehmen. Allerdings hat die Rolle der Frau einen tiefergreifenden und rascheren Wandel erfahren als die des Mannes. In vielen Ländern wird noch immer nicht anerkannt, daß die unterschiedlichen Leistungen und Tätigkeiten von Frauen und Männern nicht so sehr auf unabänderliche biologische Unterschiede als auf gesellschaftlich determinierte Geschlechterrollen zurückzuführen sind.

28. Außerdem ist zehn Jahre nach der Konferenz von Nairobi die Gleichberechtigung von Frau und Mann noch immer nicht erreicht. Frauen stellen weltweit im Durchschnitt nur zehn Prozent aller gewählten Abgeordneten und sind in den meisten einzelstaatlichen und internationalen Verwaltungsstrukturen im öffentlichen wie auch privaten Sektor nach wie vor unterrepräsentiert. Die Vereinten Nationen bilden hier keine Ausnahme. Auch fünfzig Jahre nach ihrer Gründung machen sich die Vereinten Nationen noch immer nicht die Führungskompetenz von Frauen zunutze, die im Sekretariat und in den Sonderorganisationen auf der Leitungsebene unterrepräsentiert sind.

29. Frauen spielen in der Familie eine entscheidende Rolle. Die Familie ist die Grundeinheit der Gesellschaft und soll als solche gestärkt werden. Sie hat Anspruch auf umfassenden Schutz und Unterstützung. In den verschiedenen kulturellen, politischen und sozialen Systemen gibt es unterschiedliche Formen der Familie. Die Rechte, Fähigkeiten und Verantwortlichkeiten von Familienmitgliedern müssen geachtet werden. Der große Beitrag, den die Frauen zum Wohl der Familie und zur Entwicklung der Gesellschaft leisten, wird noch immer nicht anerkannt oder in seiner vollen Tragweite gesehen. Die soziale Bedeutung der Mutterschaft und der Rolle der Eltern in der Familie und bei der Kindererziehung sollte anerkannt werden. Die Erziehung der Kinder erfordert, daß sich Eltern, Frauen und Männer und die Gesellschaft als Ganzes die Verantwortung teilen. Mutterschaft, Elternschaft und die Rolle der Frau bei der Fortpflanzung dürfen weder als Grund für Diskriminierung dienen noch die volle Teilhabe der Frauen in der Gesellschaft einschränken. Es sollte auch anerkannt werden, welche wichtige Rolle Frauen in zahlreichen Ländern oft bei der Betreuung anderer Familienmitglieder spielen.

30. Während die Wachstumsrate der Weltbevölkerung zurückgeht, ist die absolute Zahl der Weltbevölkerung so hoch wie nie zuvor und wächst derzeit jährlich um fast 86 Millionen Menschen. Zwei weitere bedeutsame demographische Trends haben tiefgreifende Auswirkungen auf den Abhängigenquotienten innerhalb der Familien. In vielen Entwicklungsländern sind 45 bis 50 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt, während in den Industrieländern nicht nur die Zahl, sondern auch der proportionale Anteil der älteren Menschen im Steigen begriffen ist. Hochrechnungen der Vereinten Nationen zufolge werden bis zum Jahr 2025 72 Prozent der über Sechzigjährigen in den Entwicklungsländern leben, wobei mehr als die Hälfte davon Frauen sein werden. Die Betreuung der Kinder, der Kranken und der älteren Menschen ist eine Aufgabe, die aufgrund der mangelnden Gleichberechtigung und der unausgewogenen Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern zu einem unverhältnismäßig hohen Grad den Frauen zufällt.

31. Viele Frauen sehen sich über ihre Geschlechtszugehörigkeit hinaus aufgrund einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren mit besonderen Hindernissen konfrontiert. Oft führen diese Faktoren zur Isolierung oder Marginalisierung der Betroffenen. So werden ihnen unter anderem ihre Menschenrechte verweigert und der Zugang zu Bildung und Berufsausbildung, Beschäftigung, Wohnraum und wirtschaftlicher Eigenständigkeit verwehrt, und sie sind von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Diesen Frauen wird oft die Gelegenheit vorenthalten, einen vollwertigen Beitrag zu ihren Gemeinwesen zu leisten.

32. In den letzten zehn Jahren ist auch eine wachsende Anerkennung der besonderen Interessen und Belange von autochthonen Frauen zu verzeichnen gewesen, deren Identität, kulturelle Traditionen und Formen sozialer Organisation die Gemeinwesen, in denen sie leben, bereichern und stärken. Autochthone Frauen sehen sich oft in zweifacher Weise Barrieren gegenüber: einmal als Frauen und zum anderen als Angehörige autochthoner Gemeinschaften.

33. In den letzten 20 Jahren hat die Welt im Bereich der Kommunikation eine explosionsartige Entwicklung erlebt. Dank der Fortschritte in der Computertechnologie und beim Satelliten- und Kabelfernsehen bestehen weltweit immer umfangreichere Zugriffsmöglichkeiten auf immer mehr Informationen, so daß sich neue Chancen für die Partizipation der Frau im Kommunikationsbereich und in den Massenmedien sowie für die Verbreitung von Informationen über die Frau ergeben. Die weltweiten Kommunikationsnetze werden jedoch auch dazu benutzt, für einseitige Werbe- und Konsumzwecke ein stereotypes und erniedrigendes Frauenbild zu verbreiten. Solange die Frauen im Kommunikationswesen und in den Massenmedien, unter Einschluß der Künste, nicht gleichberechtigt im technischen Bereich wie auch an der Entscheidungsfindung mitwirken, wird weiter ein falsches Bild von ihnen verbreitet werden und auch in Zukunft das Bewußtsein für ihre Lebensrealität fehlen. Die Medien verfügen über große Möglichkeiten, die Förderung der Frau und die Gleichberechtigung von Frau und Mann voranzubringen, indem sie Frauen und Männer frei von Klischees, in ihrer ganzen Vielfalt und ausgewogen darstellen und die Würde und den Wert der menschlichen Person achten.

34. Die anhaltende Umweltzerstörung, von der alle Menschen betroffen sind, hat oft unmittelbarere Auswirkungen auf die Frauen. Die Gesundheit der Frauen und ihr Lebensunterhalt werden von Verschmutzung und toxischen Abfällen, Kahlschlag von Baumbeständen, Wüstenbildung, Dürre und der Erschöpfung der Böden und der Küsten- und Meeresressourcen bedroht, was dazu führt, daß umweltbedingte Gesundheitsschäden, ja sogar Todesfälle bei Frauen und Mädchen zunehmen. Am stärksten betroffen sind die auf dem Land lebenden und die autochthonen Frauen, deren Lebensunterhalt und Existenzmittel unmittelbar von bestandfähigen Ökosystemen abhängen.

35. Armut und Umweltzerstörung sind eng miteinander verknüpft. Während Armut bestimmte Arten der Umweltbelastung zur Folge hat, sind die Hauptursache für die anhaltende Verschlechterung der globalen Umwelt nicht aufrechterhaltbare Konsum- und Produktionsweisen, insbesondere in den Industrieländern, die zu großer Sorge Anlaß geben und die Armut und die Ungleichgewichte noch verschärfen.

36. Globale Entwicklungen haben tiefgreifende Veränderungen mit sich gebracht, was die Überlebensstrategien und die Struktur der Familie angeht. In allen Weltregionen hat die Land-Stadt-Wanderung beträchtlich zugenommen. Den Prognosen zufolge wird die Stadtbevölkerung bis zum Jahr 2000 47 Prozent der gesamten Weltbevölkerung ausmachen. Schätzungsweise 125 Millionen Menschen sind Migranten, Flüchtlinge oder Vertriebene, von denen die Hälfte in Entwicklungsländern lebt. Diese massiven Wanderungsbewegungen haben schwerwiegende Auswirkungen auf die Struktur und das Wohl der Familie und unterschiedliche Folgen für Frauen und Männer und führen in vielen Fällen zur sexuellen Ausbeutung von Frauen.

37. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge betrug die Gesamtzahl der Fälle von Aids Anfang 1995 4,5 Millionen. Seit der ersten Diagnose des humanen Immundefektvirus (HIV) wurden schätzungsweise 19,5 Millionen Männer, Frauen und Kinder mit diesem Virus infiziert, und bis zum Ende dieses Jahrzehnts werden es voraussichtlich weitere 20 Millionen Menschen sein. Die Wahrscheinlichkeit einer Neuinfektion ist bei Frauen doppelt so hoch wie bei Männern. In der Frühphase der Aidspandemie waren nur wenige Frauen infiziert, inzwischen beträgt ihre Zahl jedoch rund 8 Millionen. Junge Frauen und heranwachsende Mädchen sind besonders gefährdet. Schätzungen zufolge werden bis zum Jahr 2000 über 13 Millionen Frauen infiziert und 4 Millionen Frauen an aidsbedingten Erkrankungen gestorben sein. Darüber hinaus dürften jährlich etwa 250 Millionen neue Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten auftreten. Die Übertragungshäufigkeit dieser Krankheiten, einschließlich HIV/Aids, nimmt unter Frauen und Mädchen, insbesondere in den Entwicklungsländern, beunruhigend rasch zu.

38. Seit 1975 sind umfangreiche neue Erkenntnisse und Informationen über die Situation der Frau und ihre Lebensbedingungen gewonnen worden. Während ihres gesamten Lebens sehen sich Frauen in ihrem täglichen Leben und in bezug auf ihre langfristigen Ziele durch diskriminierende Einstellungen, ungerechte soziale und wirtschaftliche Strukturen und in den meisten Ländern durch einen Mangel an Ressourcen eingeengt, wodurch sie an der vollen und gleichberechtigten Teilhabe gehindert werden. In einer Reihe von Ländern deuten die Praxis der vorgeburtlichen Geschlechtsselektion, höhere Sterblichkeitsziffern bei weiblichen Kleinkindern und der geringere Schulbesuch von Mädchen darauf hin, daß der Zugang von Mädchen zu Nahrung, Bildung und Gesundheitsversorgung, und sogar ihr Recht auf Leben selbst, durch die Bevorzugung männlicher Nachkommen beschränkt wird. Die Diskriminierung der Frau beginnt in den frühesten Lebensphasen und muß daher bereits in diesem Stadium bekämpft werden.

39. Das Mädchen von heute ist die Frau von morgen. Die Fähigkeiten, Ideen und Energien von Mädchen sind von größter Wichtigkeit, wenn die Ziele der Gleichberechtigung, der Entwicklung und des Friedens in vollem Umfang erreicht werden sollen. Damit sich das Mädchen voll entfalten kann, muß es in einem förderlichen Umfeld heranwachsen, in dem seine seelischen, geistigen, und materiellen Bedürfnisse in bezug auf sein Überleben, seinen Schutz und seine Entwicklung erfüllt werden und seine Gleichberechtigung gesichert ist. Wenn die Frau im Leben und in der Entwicklung in jeder Hinsicht die gleichberechtigte Partnerin des Mannes sein soll, dann ist es an der Zeit, die Menschenwürde und den Wert des Mädchens anzuerkennen und sicherzustellen, daß es seine Menschenrechte und Grundfreiheiten uneingeschränkt wahrnehmen kann, so auch die Rechte, die in der Konvention über die Rechte des Kindes 11 verankert sind, zu deren allgemeiner Ratifikation mit allem Nachdruck aufgefordert wird. Indessen gibt es in aller Welt Anzeichen dafür, daß Diskriminierung von Mädchen und Gewalt gegen Mädchen bereits in den allerfrühesten Phasen ihres Lebens einsetzen und während ihres ganzen Lebens unvermindert anhalten. Häufig haben Mädchen weniger Zugang zu Nahrung, zu Gesundheitsversorgung bei körperlichen und psychischen Krankheiten sowie zu Bildung und genießen in Kindheit und Jugend weniger Rechte, weniger Chancen und weniger Vorteile als Jungen. Nicht selten werden Mädchen zu Opfern verschiedener Formen sexueller und wirtschaftlicher Ausbeutung, der Pädophilie, der Zwangsprostitution und möglicherweise des Handels mit ihren Körperorganen und -geweben, von Gewalt und schädlichen Praktiken wie beispielsweise der Tötung weiblicher Neugeborener und der vorgeburtlichen Geschlechtsselektion, des Inzests, der Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane und verfrühter Heirat, insbesondere auch Kinderheirat.

40. Die Hälfte der Weltbevölkerung ist weniger als 25 Jahre alt, und die meisten Jugendlichen der Welt - über 85 Prozent - leben in den Entwicklungsländern. Die politischen Entscheidungsträger müssen die Bedeutung dieser demographischen Faktoren erkennen. Es müssen besondere Maßnahmen getroffen werden, um sicherzustellen, daß jungen Frauen die allgemeinen Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden, die sie für eine aktive und wirksame Teilhabe an der Gestaltung der sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Angelegenheiten auf allen Ebenen benötigen. Es wird entscheidend darauf ankommen, daß die internationale Gemeinschaft eine neue Verpflichtung auf die Zukunft demonstriert - die Verpflichtung, eine neue Generation von Frauen und Männern auf die Zusammenarbeit für eine gerechtere Gesellschaft einzuschwören. Diese neue Führungsgeneration muß eine Welt akzeptieren und fördern, in der jedes Kind frei ist von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ungleichheit und seine Fähigkeiten frei entfalten kann. Der Grundsatz der Ebenbürtigkeit von Frau und Mann muß daher fester Bestandteil des Sozialisationsprozesses sein.


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